Strophen zu den Bildern des Hitda-Codex

(„Nun lobet Gott im hohen Thron“)

 

1 Verkündigung

 

Gabriel grüßt, Maria hört,

staunend, vom Tagwerk aufgestört.

Der Himmel kommt, die Trennung schwindet.

Als Mensch wird Gott der Welt verkündet.

 

Mach uns bereit, wenn du uns grüßt

und in den Sog der Liebe ziehst,

dass wir auf unsern Lebensstraßen

dein Wort leibhaftig werden lassen.

 

2 Geburt Christi

 

Säugling, in Windeln eingehüllt,

träumende Mutter, glückerfüllt,

Josef, versenkt in stummem Sinnen:

so will das Heil der Welt beginnen.

 

In unser Schweigen trittst du ein,

Kleines wird groß und Großes klein.

Lass durch die Christgeburt auf Erden

uns selber neu geboren werden.

 

3 Anbetung der Könige

 

Männer des Wissens und der Macht,

beglänzt vom Licht der heilgen Nacht,

erscheinen zwergenhaft wie Knaben

mit ihren königlichen Gaben.

 

Auf unserm Weg begegne uns;

wenn wir dich finden, segne uns.

Zeig uns die wahre Herrschergröße

in deiner Ohnmacht, deiner Blöße.

 

4 Darbringung im Tempel

 

Simeon an der Tempeltür

empfängt das Kind, preist Gott dafür.

Maria bringt die Opfertauben,

getreu dem heilgen Bundesglauben.

 

Du löst dein Volk aus Sklaverei;

als deine Kinder sind wir frei.

Lass uns im Tod dein Antlitz sehen,

wie Simeon in Frieden gehen.

 

5 Taufe Jesu

 

Einer, der nichts bereuen muss,

steigt zu den Sündern in den Fluss,

damit die Flut sie ihm vereinigt,

damit sein Geist ihr Leben reinigt.

 

Hoch steht Johannes, der dich tauft,

höher stehst du, der uns erkauft.

Hilf, wenn wir Falsches tun und lassen,

dein „Ich mach alles neu“ erfassen.

 

6 Heilung des Besessenen in Gerasa

 

Ein böser Geist, sein Spiegelbild,

macht ihn zum Tier, unbändig, wild,

so unrein wie die Schweineherde –

und flieht vor Jesu Drohgebärde.

 

Wenn Todessehnsucht uns besitzt,

aus unserm Blick Verneinung blitzt,

wenn Groll und Ängste überquellen,

musst du dich uns entgegenstellen.

 

7 Heilung der Schwiegermutter des Petrus

 

Ein Haus steht zwischen andern schief,

ein Fischer fehlt, den Jesus rief.

Die Schwiegermutter liegt im Fieber,

weist alle ab und stürbe lieber.

 

Du nimmst sie bei der Hand, und seht:

sie spürt die Kraft, fasst Mut und steht.

Berühre uns mit deinen Wunden,

damit wir glauben und gesunden.

 

8 Heilung des Blinden von Jericho

 

Ein Blinder wendet sein Gesicht

zum Herrn empor und schaut das Licht,

noch ehe seine Augen sehen –

und Davids Sohn erhört sein Flehen.

 

Nimm weg, was unsre Sicht versperrt

und unser Augenmaß verzerrt,

damit wir dich, den Lichtquell, finden

und Lichter werden für die Blinden.

 

9 Weinwunder in Kana

 

Jesus befiehlt mit Wunderhand:

„Füllt diese Krüge bis zum Rand,

schmeckt und schenkt aus, was sie enthalten!

Dann wird das Fest sich neu entfalten.“

 

Geht uns der Wein der Freude aus,

komm du als Gast in unser Haus,

komm und verwandle Schweiß und Tränen

zum Wein des Reichs, das wir ersehnen.

 

10 Heilung des Gelähmten am Teich von Betesda

 

Am Teich zählt, wer der Erste ist.

Jesus weiß nichts von Rang und Frist.

Die Lasten, die den Kranken lähmen,

allein der Glaube wird sie nehmen.

 

Wir sind von altem Leid gebeugt;

heil wird, wer sich vor dir verneigt.

Das Krankenbett, auf dem wir lagen,

lass uns als Siegeszeichen tragen.

 

11 Jüngling von Nain

 

Seht ihr den Zug des Todes gehn?

Seht ihr den Toten auferstehn?

Seht ihr, auf Knien zu Jesu Füßen,

die Mutter den Erwecker grüßen?

 

Froh kehren sie zurück zur Stadt

und leben, bis sie lebenssatt

sich gläubig ihrem Gott empfehlen.

Erwecke, Herr, auch unsre Seelen!

 

12 Der Sturm auf dem See

 

Sturm drückt das Jüngerschiff hinab,

macht den gepeitschten See zum Grab.

Doch Jesus schläft auf seinem Kissen

und will von keiner Sorge wissen.

 

Treibt deine Kirche, fern vom Land,

durch Kleinmut und durch Widerstand,

lass uns auch jetzt dein Wort erwarten.

Du bist mit uns auf allen Fahrten.

 

13 Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand

 

Da ist die Hand, kalt und versteift,

da die gesunde, die sie greift,

da eine Hand voll Macht und Segen,

da eine voller Trotz dagegen.

 

Lehr unsre Hände Gutes tun,

lehr uns an Ruhetagen ruhn,

und stelle Menschennot und -bitte

an allen Tagen in die Mitte.

 

14 Jesus und die Ehebrecherin

 

Klagt wohl der Staub sich selber an?

Ein Sünder einen Sünder dann?

Die Frau ist schuldig, doch die Herren

nicht minder, die sie vor ihn zerren.

 

Jesus, barmherzig und gerecht,

du nennst die schlechten Taten schlecht

und lässt uns doch dein Heil aufstrahlen.

Dafür wirst du am Kreuz bezahlen.

 

15 Kreuzigung Christi

 

Die Stunde der Vergeltung naht.

Was er in Gottes Namen tat,

muss sein Verbrechertod erfüllen.

Seht Licht und Menschen sich verhüllen.

 

Nicht ungebrochen bleiben wir

auf unserm Lebensweg mit dir.

Doch wenn wir unser Kreuz nicht meiden,

gibst du uns teil an deinen Freuden.

 

16 Der Allherrscher

 

Sterne umkränzen deinen Thron,

Richter und Retter, Menschensohn.

Du kannst die Wahrheit und das Leben

uns und der ganzen Schöpfung geben.

 

Wir kehren von Jerusalem

zurück zum Stall in Betlehem,

um dich von neuem zu begleiten

bis zur Vollendung aller Zeiten.

 

Widmungsbild

 

Für deinen Herrn hast du gewirkt

und Meschede das Heil verbürgt,

seit Erdenreste mit dem Namen

Walburga an die Henne kamen.

 

Äbtissin Hitda aber weiht

dir und dem Stift die Kostbarkeit:

Christus, in Wort und Bildern lehrend,

in Schrift und Schmuck die Welt verklärend.