Ein Brief
Lieber
Herr B.,
danke
für Ihr Zutrauen und Ihre ernsthaften Fragen!
Ja, womit soll ich meinen Antwortversuch anfangen…
„Wir entkommen dem Glauben nicht, in den wir hineingeboren wurden“ – das ist ein
sehr gescheiter Satz. Natürlich verändert sich unser Verständnis, unser Urteil,
aber sowohl in der Aneignung wie im Protest bleiben wir Antwortende auf unsere
Herkunft. Die Herkunft heutiger junger „Westler“ ist ja allerdings fast
konturlos; christlich nur noch in den Negationen (gegen Zwang, gegen
Selbstgenügsamkeit einer Gruppe, gegen den Geltungsanspruch von Bräuchen und
Traditionen).
Wenn es trotzdem so etwas wie „Bekehrungen zur Wahrheit“ gibt, die uns über
unser Herkommen hinausführen (und das ist ja die Grundzumutung des Evangeliums:
„Kehrt um und glaubt…“), dann müsste sich diese Wahrheit als das größere,
tiefere und umfassendere Ja auch zu unserer Herkunftsüberlieferung erweisen.
Für mich, das wird Sie nicht überraschen, ist dieses größte, umfassendste Ja
auf alle Menschenhoffnungen (auch asiatische, afrikanische, indianische) Jesus
Christus – leibhaft gegenwärtig und fordernd in der zweideutigen Gestalt der
Kirche.
Darin steckt die Grundentscheidung, dass Jesus Kirche wollte und will, und dass
Kirche nicht schon im Ansatz eine Abwendung von ihm ist. Und darin steckt die
Grundentscheidung, dass die Kirche nur eine sein kann, so dass, wenn es eine
Vielzahl von Kirchen gibt, die Leibhaftigkeit, die Fülle, der Bezugspunkt der
Einheit nur in einer von ihnen zu finden sein kann.
Diese Grundentscheidungen kann man ablehnen, aber im Neuen Testament sind sie
nach meiner Überzeugung eindeutig bezeugt. Übrigens hat Martin Luther sie bis
zu seinem Tode geteilt.
Wer also lutherisch sein will, der muss in der lutherischen Kirche die Kirche
Christi in Fülle und Wahrheit sehen und nicht bloß eine Geschmacksrichtung –
sonst hat sein Glaube mit dem Martin Luthers nichts zu tun.
Ich bin relativ früh zu dem Punkt gekommen, wo ich in Luthers reformatorischen
Einsichten nur noch ein heilsames und wichtiges Korrektiv, eine
Wiederentdeckung von „unterbelichtetem“ Glaubensgut, aber nicht mehr das
kirchentrennende und kirchenbegründende Prinzip schlechthin erkennen konnte.
Dann blieb nur noch die Frage: katholisch oder orthodox. Den Ausschlag für
„Rom“ gab natürlich das Petrusamt, aber mehr noch die Erfahrung, dass orthodoxe
Spiritualität und Liturgie sehr wohl in der katholischen Kirche Platz hat (bei
den unierten Ostkirchen, aber auch im Westen), umgekehrt aber nicht. Rom hat
nicht jederzeit und überall alle Glaubenswahrheiten präsent; aber Rom hat die
integrative Kraft des Heiligen Geistes, die sich (manchmal arg langsam) gegen
alle falschen Verengungen und Vereinseitigungen durchgesetzt hat und
durchsetzen wird.
Auch für „geborene Katholiken“ ist natürlich Bekehrung unerlässlich, Bekehrung
zur größeren Weite und Hingabe Christi. Unbekehrte Katholiken sind vielleicht
das größte Hindernis für Nichtkatholiken auf dem Weg zur Einheit. Aber
andererseits, wer kann von sich sagen, er sei besser und nicht auch schon
längst (wieder) verhärtet. Übrigens heißt Weite und Hingabe nicht Formlosigkeit
von Glauben und Gottesdienst, wenn Jesus „im Fleisch“ der Erlöser sein soll.
So, das ist nun mehr ein Zeugnis und Bekenntnis geworden, aber Sie werden von
mir auch nichts anderes erwartet haben. Natürlich steht über aller Theologie
Glauben, Hoffnung und Liebe, und die Liebe ist die größte unter ihnen. Nach ihr
wird Christus uns richten, nicht nach unserer Kirchenzugehörigkeit. Ich aber
möchte ihm jetzt schon so nah wie möglich sein.
So viel für heute – wenn Sie wollen, mehr!
Herzliche Grüße und Segenswünsche für Ihre Suche,
Ihr
Peter Gerloff